Bündnis 90 / Die Grünen lehnen die Grundsteuerhebesätze ab.
Hier geben wir die Rede wieder, die der Fraktionsvorsitzende Marcel Gießwein im Rat der Stadt am 28. November 2024 gehalten hat:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Langhard,
meine Damen und Herren,
um es direkt vorweg zu nehmen: Wir GRÜNEN werden dem Vorschlag der Verwaltung nicht folgen. Wohnen in Schwelm darf nicht noch teurer werden.
Mit dem Verwaltungsvorschlag werden sehr viele Menschen, insbesondere solche, die in Mietwohnungen leben und die Grundsteuer über die Mietnebenkosten weitergeleitet bekommen deutlich stärker belastet. Konkret werden knapp 6.200 Bescheide oder besser gesagt über 70% aller Bescheide eine zum Teil deutliche Erhöhung für die betroffenen Menschen beinhalten. Das sind fast Dreiviertel. Entlastungen erfährt gerade einmal ein Viertel.
Die Belastungsverschiebungs-Tabellen zeigen, dass es über die gesplitteten Hebesätze leicht möglich ist, diesen Anteil deutlich zu verringern.
Wir haben uns gemeinsam darauf geeinigt, dass wir die Umsetzung der Grundsteuerreform aufkommensneutral und so ausgeglichen wie möglich gestalten wollen. Eigentlich die gesamte Zeit haben wir und insbesondere auch die Verwaltung in den Beratungen in Richtung gesplittete Hebesätze argumentiert. Im letzten Finanzausschuss dann plötzlich der Sinneswandel in der Verwaltung. Es wird ein einheitlicher Hebesatz vorgeschlagen. Hauptbegründung: Rechtssicherheit. Hat sich in letzter Zeit an dem Thema Rechtssicherheit etwas geändert? Nein!
Warum also der Sinneswandel?
Will Mensch hier das Gewerbe nicht verärgern? Geht es doch auf die Wahl zu und da freuen sich einzelne Parteien immer über erklägliche Spenden. Oder ist es etwas anderes? Ich kann hier nur spekulieren. Was ich aber erkennen kann ist, dass die angebliche Rechtssicherheit nur vorgeschoben ist.
Weil das hier so nach vorne gestellt wird, will ich darauf einmal konkret eingehen: Die Länderöffnungsklausel ist allumfassend (Art. 72 Absatz 3 Nr. 7 GG). Der Verweis auf das Hebesatzrecht der Kommunen im Rahmen der Gesetze und kein Verbot von diff. Hebesätzen (Art. 106 Absatz 6 Satz 2 GG). Der Lenkungszweck „Wohnraumförderung“ ist in der Landesverfassung verankert (Art. 29 Absatz 1 LV NRW). Und! wir haben den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Artikel 3 GG). All dies ist durch ein Rechtsgutachten des Finanzministeriums-NRW unterstützt. Für die Kommunen gibt es Mustersatzungen die bereit gestellt wurden weil diese Form der Grundsteuersplittung neu ist.
Wo sehen wir eigentlich ein Problem?
Da gibt es das Gutachten von Lampert/Hummel im Auftrag des Städtetags, dieses hält differenzierte Hebesätze für nicht rechtssicher. Aus Sicht der Gutachter ist der Lenkungszweck „Wohnraumförderung“ nicht ausreichend. Die Differenzierung nur nach Wohn- und Nichtwohngebäude sei zu ungenau.
Das Rechtsgutachten des Städtetages ist hier inkonsistent.
In dem Fall wäre nämlich die Änderung der Steuermesszahlen ebenfalls verfassungswidrig. Genau das aber hat der Städtetag gefordert. Folgt Mensch jetzt dem Gutachten des Städtetags, was hieße das für Sachsen, das Saarland oder auch Berlin, die alle differenzieren? Was bedeutet das für das Bundesmodell, welches ebenfalls den Lenkungszweck „Wohnraumförderung“ und die Differenzierung nach Wohn- und Nichtwohngebäuden zur Grundlage haben?
Wir wissen es schlicht nicht, meine Damen und Herren. Ich habe mit einigen Fachjuristen gesprochen und eines war immer einheitlich, bei allen ansonsten differenzierten Bewertungen: Egal welches Modell, beklagt werden sie alle. Egal was das Thema ist, eine große Rechtsunsicherheit bei etwas neuem und für den Geldbeutel der Menschen in unserem Land so bedeutendem gibt es immer.
Eine Prognose was Bestand haben kann: unmöglich.
Einzig: Ein Rückfall auf 0 sieht niemand, wenn dann ein Rückfall auf den entsprechend niedrigeren Hebesatz. Der Bürgermeister hat im Finanzausschuss gesagt: „Wir wollen Klarheit schaffen und kein Risiko eingehen.“ Klarheit wird es nicht geben, ohne Risiko ist kein Modell und auch welches Modell das höhere Risiko hat, ist strittig.
Klar ist, das gar nichts klar ist. Und wir sollten auch nicht so tun, als wäre das so bei welcher Entscheidung auch immer.
Ich habe mich nach dem Finanzausschuss außerdem einmal damit befasst, wie andere Kommunen das handhaben. Ich durfte feststellen, dass anders als von geneigter Stelle im Finanzausschuss behauptet sehr viele andere Kommunen den Weg der gesplitteten Hebesätze einschlagen. Um nur wenige zu nennen: Gelsenkirchen, Bochum, Duisburg, Kreuztal, Bonn, Dortmund, Menden. Verteilt im Land und auch in den Größenklassen.
Ich konnte noch etwas feststellen: Viele haben sich deutlich intensiver und auch vertiefter dem Thema angenähert. Um es nicht zu lang zu machen nur sehr kurz: Es gibt in Kommunen ganze Tabellensammlungen wie Mensch den gesplitteten Hebesatz am gerechtesten für alle gestaltet, wie das Ausfallrisiko minimiert werden kann, wie insbesondere Mieter*innen entlastet werden können usw.!
In einigen Kommunen haben sich auch deutlich mehr Menschen in der Verwaltung mit dem Thema befasst. Diese haben wir in Schwelm nicht zur Verfügung und daher wäre eine ausführliche Befassung mit dem Thema und nicht ein ständiges „wir wissen es noch nicht und gucken mal“ vielleicht hilfreich gewesen. Und der Blick zu eben weiteren Kommunen (über den Tellerrand des EN-Kreises hinaus) hätte uns sicher auch geholfen. Die Lage ist schließlich für alle Kommunen in NRW die selbe und alle müssen jetzt entsprechend Entscheidungen treffen.
Für Schwelm kommt noch eine Sache hinzu:
Wir wissen beim Vorschlag der Verwaltung noch gar nicht, ob der jetzige Hebesatz wie von der Verwaltung vorgeschlagen aufkommensneutral ist. 400 Konten (immerhin 6% aller Konten) sind durch die Verwaltung noch nicht berechnet. Da wird sich im Verfahren rausstellen, ob die so passen wie gedacht oder eben nicht. Und erst wenn alle Konten geklärt sind, dann wissen wir, wie ein aufkommensneutraler Hebesatz aussehen würde. Wann immer das sein wird.
Dies alles betrachtet, kann es doch für uns als Rat der Stadt nur ein Ziel geben:
Die Hebesätze so sozial gerecht wie möglich festzulegen. Und das geht nur mit dem Ansatz über die gesplitteten Hebesätze. Diese haben deutliche Vorteile für den Bereich Wohnen. Die gerne angeführte Erhöhung bei den Gewerbeeinheiten ist dagegen moderat, da beim Gewerbe die Messzahlen bereits deutlich runter gegangen sind.
Die jetzt auf die Bürger*innen unserer Stadt zukommenden erhebliche Mehrbelastungen sind für uns nicht hinnehmbar. Wären diese ohne gute Alternative, dann müsste neu gedacht werden.
Diese Alternative aber gibt es und der Weg wird von vielen Kommunen gegangen.
Wie zu Beginn ausgeführt werden wir daher der Verwaltungsvorlage und damit den Grundsteuerhebesätzen für 2025 nicht zustimmen. Es gibt eine andere, besser Lösung die auch deutlich gerechter ist. Eine Lösung, die insbesondere die schwächeren unserer Gesellschaft deutlich weniger belastet.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!